#JUnge – Meinung zum Grundsatzprogrammprozess der CDU

Die CDU will sich nach 1978, 1994 und 2007 ein neues Grundsatzprogramm geben. Hierfür wurden dieses Jahr zehn Fachkommissionen gebildet, die ihre Arbeit bereits aufgenommen haben und die durch Debatten- und Beteiligungsformate eine Einbeziehung der Basis schon im Entstehungsprozess des Grundsatzprogramms sicherstellen wollen. Alle Parteiebenen sollen einbezogen werden und so auch die Junge Union.  Zu diesem Zweck fand am vergangenen Wochenende das Debattencamp der JU Deutschland in Göttingen statt.

Zu den geladenen Gästen dieses Events zählte – neben seiner Stellvertreterin Serap Güler – der Vorsitzende der Programm- und Grundsatzkommission, Dr. Carsten Linnemann, der in seiner Rede deutlich machte, dass die CDU Punkte hat, die sie von anderen unterscheidet, dass wir uns in der Union aber auf diese Punkte rückbesinnen und ausgehend von diesen in der Sache streiten müssen, um uns treu zu bleiben.

Ich will hier auf einen Punkt eingehen, den Carsten Linnemann betont hat, und der mir besonders wichtig ist. Linnemann sagte, dass wir in der Union vom Individuum ausgehen, den Menschen als Individuum sehen und nie von einer Gruppe auf den Einzelnen schließen. Das ist richtig und sollte meiner Meinung nach viel stärker in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, um zum einen nicht Gefahr zu laufen, hier falsch verstanden zu werden, und zum anderen, um klarzustellen, dass die Union eben keine Identitätspolitik macht. Nebenbei: Menschen in feste Gruppen einzuteilen und daraus Haltungen abzuleiten, bleibt der neuen Antidiskriminierungsbeauftragten der Regierung vorbehalten.

Erst kürzlich hatte ich mich mit einem Freund aus dem Studium unterhalten, mit dem ich oft gerade über politische Themen diskutiere, weil er normalerweise kein Freund der Union ist. Bei einem Punkt waren wir uns jedoch einig. Und er fasste diesen Punkt in einer ziemlichen Leichtigkeit, aber auch Deutlichkeit zusammen, die mir folgendermaßen in Erinnerung geblieben ist: „Links-Grün heißt für mich, dass alle immer sagen, sie seien tolerant, aber gegenüber wem sie tolerant sind, da sind sie ziemlich intolerant.“ Ich musste lachen, weil ich eine solche Aussage gerade nicht von meinem Kollegen erwartet hätte.

Weitergedacht muss man zusammenfassen: Ein Politikstil, der nicht vom Individuum ausgeht, sondern der von vornherein von einer Gruppe ausgeht, sprich sog. Gruppeninteressen vertreten will, wird viel weniger Menschen gerecht als er für sich in Anspruch nimmt. Denn „Gruppeninteressen“ gibt es so gut wie nicht. So wenig wie es „die Deutschen“ gibt, gibt es „die Rentner“, „die Migranten“, „die Jugend“ oder „die Geringverdiener“, um nur einige der Gruppen zu nennen, auf die nur zu gerne in Talkshows verwiesen wird, wenn ein Politiker der Ampel-Koalition den eigenen politischen Irrweg versucht zu rechtfertigen.

Ein Politikansatz, der sich das nicht eingesteht, ist früher oder später zum Scheitern verurteilt, weil er die Interessen einer Minderheit – nämlich derjenigen, die den Vorschlag ausarbeiten und dabei für sich in Anspruch nehmen, eine große Mehrheit zu vertreten – der Breite der Bevölkerung überstülpt, ohne auch nur im Ansatz zu bedenken, dass selbst viele der „Gruppe“, der der Ansatz zugute kommen sollte, mit diesem Vorschlag so gar nicht einverstanden sind und sich weder verstanden noch vertreten fühlen.

Deshalb ist es richtig, wenn Carsten Linnemann sagt, Politik müsse vom Individuum ausgehen. Erst wenn wir uns eingestehen, dass beispielsweise der 5-jährige Burak, der erst seit drei Monaten in Deutschland lebt, eine andere Förderung braucht als die gleichaltrige Sophia – nämlich, dass er statt direkt eingeschult zu werden, zunächst einen Deutschkurs absolvieren muss, um dann in der Schule dem Unterricht vernünftig folgen zu können – wird dafür gesorgt, dass dieses Land morgen nicht brach liegt.

Um vernünftige und zukunftsträchtige Ideen für dieses Land zu entwickeln, ist es unentbehrlich, vom Individuum auszugehen. Ein Gruppendenken legt hier nicht den Finger in die Wunde, sondern versucht im Gegenteil dort zu vereinfachen, wo kluge und differenzierte Lösungen gebraucht werden. Nur so werden politische Entscheidungen ermöglicht, die dafür sorgen, dass Deutschland auch morgen noch Wirtschaftsstandort und Wohlstandsstandort bleibt, im Ausland angesehen ist, dass das Siegel „Made in Germany“ auch morgen noch etwas bedeutet, und dass „wir“ gut und gerne auch noch übermorgen in Deutschland leben.

Autorin: Hannah Christokat, stellv. Vorsitzende Stadtverband Göttingen