#JUngeMeinung – Fördern ohne Fordern – Das Ende des Erfolgsmodelles deutscher Arbeitsmarktpolitik?

Nun billigte auch der Bundesrat die Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen bis zum Juni 2023, womit die Bundesregierung mit der eigenen politischen Agenda der vergangenen Jahre bricht. Das Arbeitslosengeld II, das die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenfasste, ist eine Erfolgsgeschichte auf Initiative Gerhard Schröders, von der sich die präsente Sozialdemokratie immer weiter entfernt.

Doch worin begründete sich die Sanktionierung von Hartz-IV überhaupt? Als wohl aktuellste Entwicklung in der Geschichte des Wohlfahrtsstaates in Deutschland, die bis zu den Zeiten Bismarcks nachzuvollziehen ist, steht die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für die Stärkung des „aktivierenden Sozialstaates“. Seit der Gründung des deutschen Kaiserreiches und besonders mit dem historischen Ausgangspunkt der Weltkriege hatte sich ein immer dichter werdendes Netz an wohlfahrtsstaatlichen Interventionen gebildet. Etwa ab 1960 kann man von einem vollständigen Wohlfahrtsstaat sprechen. Vermehrt wurden die erlangten sozialen Rechte nun aber an Bedingungen geknüpft. Der Zusammenhang ergibt sich durch den Wandel von einer aktiven, hin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, die die Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen ins Auge fasst. Der Paradigmenwechsel führte auch zu einer Anpassung des Leitbildes: Die Grundannahme „fehlender Arbeit“ wurde durch die der dauerhaften Verfügbarkeit von Arbeit ersetzt, zu der das Individuum nur aktiviert werden müsse. Dazu sollen staatliche Fördermaßnahmen, aber auch Sanktionen führen.

Die Bilanz dieses Paradigmenwechsels kann sich sehen lassen, da sich die Arbeitslosenquote seit 2005 mehr als halbiert hat. Neben den statistischen Schwächen der Erhebung dieser Zahlen und der Entstehung eines großen Niedriglohnsektors spricht das Ergebnis trotzdem klar für die bisherige Praxis der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Man sollte also vorsichtig sein, einzelne Probleme innerhalb des Systems als Anlass für eine vollständige Abkehr zu nehmen. Bisher sind die Experimente einer völlig neuen Art der Sozialstaatlichkeit wenig erfolgsversprechend.

Wie ist die normative Debatte einer „Anpassung des Individuums an gesellschaftliche Normen“ zu sehen? – Ich würde sagen einfacher als die Begrifflichkeit. Man kann eine abstrakte Debatte darüber führen, doch ein Sozialsystem, das im Großteil durch die Gesellschaft selbst finanziert wird, soll auch Bedingungen an alle haben dürfen, die von diesem System finanziert werden. Der Staat funktioniert am Ende wie eine einfache Gesellschaft – wer nimmt soll auch geben. Es ist eine der zentralen Errungenschaften der Sozialstaatlichkeit auch Erwerbslose finanziell zu unterstützen und ein Akt der Solidarität dies zu tun. Man sollte das Ganze aber als das verstehen was es ist: die eingeräumte Möglichkeit, den Lebensunterhalt so schnell wie möglich wieder selbst zu unterhalten. Wer diesem Grundsatz nicht nach seinen Möglichkeiten nachkommt, sollte auch weniger Unterstützung erhalten. Bei all diesen Ansprüchen soll zudem erwähnt sein, dass ich nicht einmal von einem vollständigen Entzug der Mittel spreche, da das Existenzminium selbstverständlich universell für jeden gilt. Doch selbst das Bundesverfassungsgericht hat sich mit diesem Sachverhalt beschäftigt und geurteilt, dass Sanktionen bis zu 30 Prozent der Leistungen streichen dürfen. Der Beschluss bildete eine breite Diskussion zur Grundgesetzkonformität ab und fasst eigentlich alle normativen und auch praktischen Abwägungen ein.

Die arbeitsmarktökonomische Wirkungsforschung zeigt zudem klare Anzeichen für einen kurzfristigen Anreiz zur Arbeitssuche durch Sanktionierung. Modelle eines Ansatzes der pauschalen Auszahlung eines Bürgergeldes o.Ä. wie in Finnland waren ernüchternd, da kein Unterschied festgestellt wurde. Man muss fast sagen, dass alle Erzählungen einer Steigerung der Motivation zur Arbeitsfindung durch einen gesicherten Pauschalbetrag komplett aus der Luft gegriffen sind. Natürlich können Politiker oder selbsterklärte Philosophen darin die Lösung für alles sehen, doch warum hören wir nicht lieber auf die Wissenschaft und Ökonomie. Es liegen genug andere Werkzeuge auf dem Tisch, die punktuell zur Anwendung kommen können. Die Zuverdienstmöglichkeiten sind beispielsweise viel zu gering. Besonders in der Ökonomie sollten sich Entscheidungen an der Praxis orientieren und in keine Denkmuster verfallen, die auf subjektiven Gefühlen basieren. Ein vollumfängliches Grundeinkommen wäre ein finanzieller Wahnsinn, der das Haushaltsbudget bei weitem überschreitet. Fördern und fordern ist das Erfolgsmodell deutscher Arbeitsmarktpolitik. Warum sich die Sozialdemokratie einer ihrer größten Errungenschaften entledigen will, bleibt unverständlich.

Autor: Felix Töpfer, Pressesprecher Kreisverband und Stadtverband Junge Union Göttingen